Oberstufen-Theater-AG: “Der Besuch der alten Dame”
„Gerechtigkeit“ […]? – Ich kann sie mir leisten.“
Am 6. und 7. Februar führte die Oberstufen-Theater-AG des Raichberg-Gymnasiums unter der Leitung von Danielle Cross und Lisa Sum einen echten Klassiker auf: die tragische Komödie „Der Besuch der alten Dame“ des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt. Obwohl diese bereits 1956 uraufgeführt wurde, ist sie dennoch thematisch brandaktuell. Viele Besucher fühlten sich daher auch angesprochen und wollten herausfinden, was die Schüler und Schülerinnen auf der Bühne präsentieren würden, nachdem Werbeplakate zuvor bereits die spannenden Kernfragen formuliert hatten: „Was ist ein Menschenleben wert?“ und „Würdest du für eine Milliarde töten?“
Die Handlung ist eigentlich schnell erzählt: Die alte Dame, Claire Zachanassian, ist durch Heirat Milliardärin geworden und kommt zu Stückbeginn in ihren Geburtsort Güllen zurück, um sich zu rächen. Julius Grimmer spielte diesen dominanten, männermordenden Vamp, deren Körper einem Ersatzteillager gleicht, überzeugend arrogant und selbstbewusst. Claire macht den verarmten Dorfbewohnern ein Angebot: eine Milliarde für den Tod von Alfred Ill, der sie in ihrer Jugend geschwängert, danach mit Tricks die Vaterschaft verleugnet und sie so ins Elend gestoßen hat. Die Güllener lehnen das unmoralische Angebot empört ab, allen voran der Bürgermeister (gespielt von Kyra Mullins) der immer wieder betont, dass Ill ein ehrbarer Bürger und damit als zukünftiger Bürgermeister gesetzt sei. Claire kündigt an abzuwarten. Wie sicher sie sich ist, zeigt auch die Tatsache, dass sie von Anfang an einen Sarg für Ill im Gepäck hatte, der in dieser Inszenierung wie ein böser Vorbote während der gesamten Aufführung auf den Treppenstufen der Aula prangte. In den Tagen nach Ills Angebot bröckelt jeder Widerstand gegen das unmoralische Angebot – zu verlockend ist der Wohlstand selbst für Ills Familie.
Dürrenmatt zeigt in den folgenden beiden Akten einerseits, wie die Gesellschaft damit umgeht: Wie die Güllener mit Aussicht auf diese Rettung immer mehr investieren, was durch zusätzliche gelbe Kleidungsstücke oder Requisiten verdeutlicht wurde. Sie beginnen alle mehr Schulden zu machen und auf großem Fuß zu leben. Um selbst jedoch ihre Hände in Unschuld zu waschen, versuchen die Bürger letztendlich Ill sogar dazu zu überreden, Selbstmord zu begehen und somit selbst für seine alte Schuld einzustehen.
Ill macht im Verlauf des Stückes eine deutliche Entwicklung durch: Anfangs wirkt er stolz, sogar überheblich, und ist sich des Rückhalts „seiner“ Güllener sicher. Sein damaliges Verhalten tut er als „verjährt“ ab, doch nach und nach bemerkt er, dass er immer mehr um sein Leben fürchten muss. Seine erste Reaktion, nachdem er erkannt hat, dass ihn die „Geister der Vergangenheit“ eingeholt haben und er sogar von der eigenen Familie hintergangen und verraten wird, ist Flucht. Doch obwohl ihn keiner aktiv daran hindert, in den Zug zu steigen, verändert diese Szene Ill: Er besiegt seine Angst, indem er sich mit seiner Schuld auseinandersetzt und diese annimmt. Im Finale akzeptiert er die Entscheidung seiner Mitmenschen und lässt sich ohne Widerstand von den Güllenern hinrichten. Diese facettenreichen Stufen der Schuldannahme wurden von Jonathan Bauer als Ill schauspielerisch überragend umgesetzt.
Trotz zahlreicher humorvoller Passagen hinterließ das Ende ein bedrückendes Gefühl beim Publikum – und auch die offene Frage, ob man sich Gerechtigkeit wirklich kaufen kann.
(Mirjam Grimme)